Diesmal gibt es die gesammelten Erfahrungen einer Verlagsmitarbeiterin, die ihren Namen nicht nennen möchte – was gut zu unserem Namenlos-Projekt passt.

 

 

Verlage rühmen sich gern, Horte von Kultur, Bildung und guten Umgangsformen zu sein. Das habe ich anders erlebt.

 

Als ich als Volontärin nach einer Betriebsfeier meine Tasche holen wollte, stellte mir der Vertriebsleiter eines bekannten literarischen Verlags bis ins Büro nach, blockierte den Ausgang und schob mir ungefragt seine Zunge in den Mund.  Die Betriebsrätin meinte dazu nur: „Der ist halt so.“ Meine Beschwerde über ihn verhallte ungehört im Haus. Im Laufe der Jahre erfuhr ich, dass in der Verlagsbranche ziemlich viele von seinen sexuellen Übergriffen wissen. Das wird wie ein liebenswerter Spleen behandelt und er wird als „ganzer Kerl“ oder „echter Hallodri“ bezeichnet. Auch von Frauen.

 

Als Abteilungsleiterin wurde ich in Konferenzen und Besprechungen oftmals wie Luft behandelt. Wenn dann ein männlicher Kollege in etwas anderen Worten das wiederholte, was ich gerade zuvor gesagt hatte, hieß es zu ihm: „Prima, das ist ganz richtig, großartige Idee haben Sie da!“

 

Ein Kollege wurde an allen weiblichen Kolleginnen vorbei auf den Chefsessel befördert, obwohl er über weniger Erfahrung verfügte und erst kurz dabei war. 

 

Ein anderer Kollege bekam eine leitende Funktion in einer inhaltlich fremden Abteilung, weil er sich das beim Fußballspielen mit dem Chef gewünscht hatte.  Er wurde damit Vorgesetzter der Kollegin, die bisher die Abteilung geleitet hatte. Und die über wesentlich mehr Erfahrung und Kompetenz verfügt.

 

Bei meiner ersten Stelle wurde ich im Einstellungsgespräch gefragt, ob und wann ich denn Kinder bekommen wollte.

 

Im Laufe meines Verlagslebens wurde mehreren Kolleginnen, die Kinder haben, abgeraten, sich überhaupt auf eine leitende Position zu bewerben; eine ist inzwischen sehr erfolgreiche Programmleiterin in einem anderen Verlag.  Über die meisten Kolleginnen, die dennoch eine leitende Position haben wollten, wurde hinter ihrem Rücken erzählt, sie seien familienfeindlich, zickig und machtgierig.

 

Wenn eine Kollegin ihr Kind mit ins Büro brachte, hieß es: Sie hat ihr Familienleben und den Beruf nicht im Griff. Wenn ein Kollege sein Kind mit ins Büro brachte, hieß es: Toll, Superpapa!

 

So viel zum Zweierleimaß.

 

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