Interview mit Gundula Göbel

Gundula Göbel
Gundula Göbel

Gundula Göbel, Sie sind nun bereits seit über 20 Jahren als Kinder- und Jugendlichen-psychotherapeutin, Familientherapeutin und EMDR-Traumatherapeutin tätig, meinen Sie, der Bedarf an bindungsfördernden Hilfestellungen ist in den letzten Jahren gestiegen?

 

Ja, der Bedarf an Bindungsstärkung ist eindeutig gestiegen. Vielen Eltern ist es ganz wichtig frühzeitig Unterstützung zu erhalten aber spätestens, wenn die Kinder ihnen Sorgen bereiten. Eltern fühlen sich oftmals überfordert die Bindungsver-antwortung für ihr Kind ganz alleine zu tragen – ohne Großeltern oder andere Bezugspersonen in der näheren Umgebung. Ich erlebe in meiner Praxis täglich den Wunsch von Eltern nach professioneller Unterstützung, sie wünschen sich ein liebevolleres Miteinander und das sie ihre Kinder überhaupt verbal und emotional erreichen. Schnelllebigkeit, Leistungsdruck und der zusätzliche Freizeitstress verhindern häufig, dass die liebevollen Gefühle der Bezugspersonen vom Kind wahrgenommen bzw. gespürt werden können, da die Eltern ständig gestresst sind. So entsteht eine unsichere Bindung der Kinder zu ihren Bezugspersonen. Diese Verunsicherung zeigt sich bei Kindern durch Symptome wie Traurigkeit, Aggressionen, Konzentrationsprobleme usw. und führt die Familien oftmals in meine Praxis oder andere Institutionen.

 

Haben Sie sich deshalb 2012 zum Schreiben dieses Ratgebers entschieden?

 

Meine Motivation war meine tägliche Arbeit mit Kindern, Eltern und Pädagogen. Fast alle Erwachsenen wollen Kinder wirklich emotional erreichen und sind verunsichert, weil es ihnen oftmals nicht gelingt. Da sich während meiner Arbeit viele Fragen und Hilfestellungen der Familien wiederholten, habe ich Entscheidendes zum Thema Eltern-Kind-Bindung für alle Leser niedergeschrieben. Der „Schrei nach Geborgenheit“ – so der Titel des Buches – ist der Hilferuf des Kindes, seine Symptome wahrzunehmen und zu verstehen. Meine größte Motivation ist es, Kinder nicht mit Diagnosen zu belasten, sondern ihre Sorgen und Bedürfnisse zu verstehen und damit positiv zu verändern. Es besteht ein großes Wissen über Bindung in der Wissenschaft, dieses für den Alltag nutzbar zu machen und zu integrieren, ist mein Anliegen und mir hoffentlich durch das Buch für meine Leser gelungen.

 

In Ihrem Ratgeber „Schrei nach Geborgenheit“ verdeutlichen Sie die Zusammenhänge zwischen unzureichender Bindung und Schulproblemen. Glauben Sie, dass die PISA-Studie in diesem Zusammenhang als Warnsignal zu deuten ist?

 

Sie ist ganz sicher als Warnsignal zu werten, nur ihre Auswertung und Interpretation gefällt mir nicht. Es wird versucht die Kinder z. B. auf Vergleichsarbeiten vorzubereiten, aber es wird nicht gefragt, warum diese Ergebnisse so schlecht sind, obwohl die Kinder viele, viele Stunden in der Schule verbringen und durch die Hausaufgaben extrem belastet sind. Genau so besorgniserregend sehe ich das Thema „Jugendliche ohne Schulabschluss“. Wir Erwachsenen haben eine Verantwortung Kindern und Jugendlichen gegenüber! Da schwierigen Schülern meistens verlässliche Bindungspersonen fehlen, wird durch das Nur-auf-Leistungen-blicken den Kindern nicht wirklich geholfen. Das Warnsignal muss für uns Erwachsene bedeuten, grenzt Kinder nicht aus, sondern schafft einen verlässlichen, strukturierten und bindungsstärkenden Rahmen für Kinder in der Schule.

 

Wenn man durch die Stadt oder in Restaurants geht, gehört es inzwischen zum alltäglichen Bild, dass Personen gemeinsam am Tisch sitzen, die jeder für sich mit ihren Smartphones beschäftigt sind. Sind das nicht auch Bindungsstörungen im Erwachsenenalter? Oder glauben Sie, dass diese Problematik nur bei der Kindesentwicklung eine Rolle spielt?

 

Da Erwachsene immer Vorbild für Kinder sind, hat dieses sicherlich eine Auswirkung. Kinder gucken sich fast alles bei Erwachsenen ab. Allerdings können auch mit dem Smartphone sichere Bindungen gehalten und geknüpft werden. Sicherlich haben viele Erwachsene Bindungsstörungen, aber nicht unbedingt durch den Gebrauch eines Smartphones. Vielmehr wird daran wie ich es nutze, meine Bindungsstruktur, aber möglicher Weise auch die eigene Suchtstruktur deutlich. Wenn Eltern durch das Smartphone ständig abgelenkt sind, wird sich dieses auf die Bindung zum Kind bestimmt negativ auswirken. Kinder beziehen die Gefühle die wir am Handy ausdrücken automatisch auf sich und fühlen sich gleichzeitig unwichtig, da Papa oder Mama abgelenkt ist. Diese Situation kommt heute durch das Smartphone oder PC viel häufiger vor. Direkter Blickkontakt vermittelt dagegen dem Kind, meinem Gesprächspartner etc. Anerkennung und Wertschätzung, veranschaulicht ihm unsere Gefühle und zeigt die Wichtigkeit dieser Beziehung.

 

 

Welche Ratschläge würden Sie über Ihren Ratgeber hinaus den Lesern geben?

 

Sicherlich ist Achtsamkeit ganz wichtig im Zusammenleben mit Kindern. Achtsamkeit bedeutet die Aufmerksamkeit auf den gegenwärtigen Moment zu richten, in diesem Augenblick präsent zu sein. Wenn wir mit Kindern achtsam umgehen, ihre Gefühle ernstnehmen und ihnen die Freiheit zur eigenen Entwicklung mit altersangemessenen Erlebnissen ermöglichen, haben wir einen wichtigen Baustein für eine gesunde Entwicklung des Kindes geschaffen.

 

Wenn Eltern auch mit sich achtsam umgehen, um langfristig genug Energie für die Begleitung ihrer Kinder zu haben, aber auch, um sich einfach wohl zu fühlen und viel lachen zu können, werden sie eine positive Vorbildfunktion für ihre Kinder haben.

 

 

 

 

 

Den Ratgeber "Schrei nach Geborgenheit" erhalten Sie hier im Shop und im Buchhandel (ISBN-13: 978-3981557411).

 

Weitere Informationen über Gundula Göbel finden Sie auf www.gundula-goebel.de

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